Am 09.10.2020 aus der St. Sophien Kirche, Berlin
Der Mensch als Individuum: das war die bahnbrechende Entdeckung der Renaissance. Der Mensch rรผckte zunehmend in den Mittelpunkt der Betrachtung und definierte sich selbst als vernunftbegabten Erforscher und schรถpferischen Gestalter seiner Umwelt, der aber dennoch vielen unvorhersehbaren Ereignissen schutzlos ausgesetzt ist.
Auf welche Weise das neue Menschenbild in der Kunst Ausdruck fand, ist in diesem multimedialen Konzert zu erleben. Bilder von Albrecht Dรผrer und kontrastierende Texte lassen die Musik der Renaissance in neuem Licht erscheinen.
Es musizieren die Sopranistin Margaret Hunter und Capella de la Torre unter der Leitung von Katharina Bรคuml, Gerd Wameling liest zeitgenรถssische Texte.
Was hat eigentlich das heutige Programm mit einer Pandemie zu tun?
Programm:
Werke von Michael Praetorius, Claudin de Sermisy, Henry Dumont und anderen.
Tickets fรผr das Konzert vor Ort: 20 โฌ, erm. 15 โฌ online unter www.billetto.eu.
DAS KONZERT WIRD LIVE GESTREAMT auf www.studio4culture.net
Veranstalter: Capella de la Torre in Kooperation mit dem Kultur Bรผro Elisabeth Gefรถrdert aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin.
Zwei Zeitgenossen, die sich nie getroffen haben: Michael Praetorius (hauptsรคchlich Wolfenbรผttel) und Sigismondo dโIndia (hauptsรคchlich Mantua). Wohl aber nahm zumindest der eine (Praetorius) Notiz vom anderen, studierte seine Noten und zitierte ihn in seiner musiktheoretischen Schrift โSyntagma Musicumโ.
รberblick Praetorius: http://www.michael-praetorius.de/
Michael Praetorius war in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts die unangefochtene Autoritรคt unter den mitteldeutschen Musikern. Als Kapellmeister des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbรผttel schuf er nicht nur eine Vielzahl von bedeutenden Kompositionen, sondern auch wichtige theoretische Schriften, die den Status der Musik um 1600 hervorragend wiedergeben. Darรผber hinaus war er als Berater fรผr Orgelneubauten und Kapellgrรผndungen an vielen Orten gefragt. Auch wenn der Schwerpunkt seines Schaffens auf der Kirchenmusik lag, hat sich Praetorius auch der Tanzmusik zugewandt. 1612 verรถffentlichte er die Sammlung โTerpsichoreโ mit rund 300 Tanzsรคtzen, deren Melodien รผberwiegend aus franzรถsischen Quellen stammen. Die Volta ist ein Tanz im bewegten 3/4-Takt, der ursprรผnglich aus Sรผdfrankreich stammt und sich im Laufe des 16. Jahrhunderts in ganz Europa verbreitet hat. Das Besondere an der hier ausgewรคhlten Volta von Praetorius jedoch ist, dass sie im geraden Takt komponiert ist.
Etwa zeitgleich zรคhlte Sigismondo dโIndia zu den beliebtesten Komponisten Italiens. Er hielt sich an mehreren bedeutenden Adelshรถfen auf, so bei den Gonzaga in Mantua, bei den Herzรถgen von Savoyen in Turin, bei den dโEste in Modena und bei den Barberini in Rom. รberall wurde dโIndia fรผr seine zeitgemรครe Vokalmusik gefeiert. Noch zu Lebzeiten verรถffentlichte er zahlreiche geistliche Konzerte sowie Arien, vor allem aber Canzonen und Madrigale im neuen Stil. DโIndias Motette โIn principio creavit Deusโ erschien 1627 in dem Druck โLiber primus motectorumโ und zitiert den Beginn des Schรถpfungsberichts aus dem ersten Kapitel des Buches Genesis.
Links
รberblick Praetorius: http://www.michael-praetorius.de/
Noten: http://www2.cpdl.org/wiki/images/6/67/In_principio_creavit_Deus.pdf
In principio creavit Deus caelum et terram.
Terra autem erat inanis et vacua
et tenebrae erant super faciem abyssi
et spiritus Domini ferebatur super aquas.
Dixit Deus fiat lux et facta est lux.
Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Die Erde aber war wรผst und leer,
Finsternis lag รผber der Urflut
und Gottes Geist schwebte รผber dem Wasser.
Gott sprach, es werde Licht, und es wurde Licht.
Noten: http://www2.cpdl.org/wiki/images/6/67/In_principio_creavit_Deus.pdf

รber den Menschen und seine Teile.
Getrennt durch ein Tรคnzchen von Michael Praetorius treffen hier zwei kirchenmusikalische Schwergewichte aufeinander: Der franzรถsische Hofkomponist Claudin de Sermisy, angestellt beim franzรถsischen Kรถnig und Heinrich Schรผtz, der etwa 100 Jahre spรคter dem sรคchsischen Kurfรผrsten diente. Trotz Konfessions- und Zeitdifferenzen verbindet die beiden eine tiefe Religiositรคt.
Claudin de Sermisy war in der ersten Hรคlfte des 16. Jahrhunderts einer der bedeutendsten Musiker am franzรถsischen Kรถnigshof. Schon im Alter von 18 Jahren ist er als Sรคnger der Sainte-Chapelle in Paris dokumentiert. In den folgenden Jahren diente er den Kรถnigen Ludwig XII. und Franz I., Letzteren begleitete er auch auf Reisen quer durch Europa. Erhalten ist von Sermisy eine Vielzahl geistlicher Kompositionen, vor allem Messen, Messsรคtze und Motetten. Parallel gilt er als Begrรผnder der โPariser Chansonโ, einer besonders kunstvollen Art des weltlichen Gesanges. Die Motette โBenedic anima meaโ wurde erstmals 1535 gedruckt und zitiert die ersten drei Verse aus dem Psalm 103.
Etwa ein Jahrhundert spรคter war Heinrich Schรผtz als Hofkapellmeister des sรคchsischen Kurfรผrsten in Dresden tรคtig. Diesen Dienst versah er mit groรer Verantwortung, auch wรคhrend der schwierigen Zeiten des 30-jรคhrigen Krieges. In seinen Kompositionen konzentrierte sich Schรผtz fast ausschlieรlich auf geistliche Musik in unterschiedlichen Besetzungen. 1628 legte er eine groร dimensionierte Vertonung des โBecker-Psaltersโ vor. Es handelt sich dabei um eine deutschsprachige Neuausgabe sรคmtlicher Psalmen, die der Leipziger Theologe Cornelius Becker in Reimform verfasst hatte. Schรผtz versah diese Dichtungen mit eingรคngigen Melodien und schlichten vierstimmigen Sรคtzen. Der Erfolg der Sammlung war bemerkenswert: In vielen Kantoreien und Schulen des Kurfรผrstentums Sachsen wurden die Psalmen in diesen Vertonungen gesungen, so dass noch im 17. Jahrhundert mehrere Nachauflagen, Revisionen und Bearbeitungen der Schรผtz-Kompositionen angefertigt wurden.
Noten:
http://www1.cpdl.org/wiki/images/1/18/Ser-ben.pdf
http://www2.cpdl.org/wiki/images/7/75/Sch%C3%BCtz_Becker_Psalm40_1628n.pdf
Benedic, anima mea, Domino, et omnia quae intra me sunt nomini sancto ejus.
Benedic, anima mea, Domino, et noli oblivisci omnes retributiones ejus.
Qui propitiatur omnibus iniquitatibus tuis; qui sanat omnes infirmitates tuas.
Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen!
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat,
der dir alle deine Sรผnden vergibt und heilet alle deine Gebrechen.
______________
Ich harrete des Herren,
da neigt er sich zu mir.
Mein Schreien hรถrt er gerne,
zog mich mit Macht herfรผr.
Aus finstrer Grub gerissen,
errett aus tiefem Schlamm,
auf Fels stellt er mein Fรผรe,
dass ich gโwiss treten kann.
Noten:
http://www1.cpdl.org/wiki/images/1/18/Ser-ben.pdf
http://www2.cpdl.org/wiki/images/7/75/Sch%C3%BCtz_Becker_Psalm40_1628n.pdf

Was ist der Mensch?
Das klare Bewusstsein auf das eigene Ende und die Begrenztheit des irdischen Lebens durchzieht das Denken der Menschen in der Renaissance wie ein roter Faden. Viele Kompositionen beschรคftigen sich mit entsprechenden Texten, in denen Leben und Tod als Einheit betrachtet werden.
Als Organist und Komponist am Hof des jungen franzรถsischen Kรถnigs Ludwigs XIV. machte Henry Dumont Karriere. Aus der Nรคhe von Lรผttich stammend, hatte er zunรคchst als Sรคngerknabe eine solide musikalische Ausbildung absolviert und war dann um 1640 in die Metropole Paris gewechselt. Dort etablierte er sich bereits nach wenigen Jahren zum unverzichtbaren Kirchenmusiker am kรถniglichen Hof. Im Laufe der Zeit komponierte er zahlreiche Messen, Psalmvertonungen und Motetten fรผr den liturgischen Gebrauch. Darunter befindet sich auch eine ausdrucksstarke, fรผnfstimmige Vertonung der Antiphon โMedia vita in morte sumusโ, die dem im 9. Jahrhundert wirkenden Dichter und Gelehrten Notker von St. Gallen zugeschrieben wird.
Gleichermaรen als Dichter und Komponist machte sich Constantin Christian Dedekind in der Mitte des 17. Jahrhunderts einen Namen. Aufgewachsen in einer Pastorenfamilie in Reinsdorf (Anhalt) erhielt er eine hervorragende sprachliche und musikalische Ausbildung und gelangte im Alter von 20 Jahren an der Dresdner Hof, wo ihn Heinrich Schรผtz unter seine Fittiche nahm. Als Mitglied der Hofkapelle stieg er bis in das Amt des Konzertmeisters auf und versorgte vor allem die Kirchenmusik. Groรe Sorgfalt legte er auf seine Lieddichtungen, die er anschlieรend selbst vertonte. Die bedeutendste Verรถffentlichung von Dedekind trรคgt den รผberaus poetischen Titel โAelbianische Musen-Lustโ und weist ihn als ausdrucksstarken Liedkomponisten aus.
Noten:
http://www1.cpdl.org/wiki/images/7/78/Media_vita_in_morte_sumus.pdf
Media vita in morte sumus,
quem quaerimus adjutorem nisi te, Domine?
Qui pro peccatis nostris juste irasceris
Sancte Deus, Sancte fortis,
Sancte et misericors Salvator,
amarae morti ne tradas nos.
Inmitten des Lebens ist um uns der Tod,
wen sollen wir um Hilfe anrufen, wenn nicht dich, Herr?
Der du um unserer Sรผnden willen zu Recht zรผrnst,
Heiliger Gott, Heilige Kraft,
Heiliger barmherziger Heiland,
du sollst uns nicht dem grausamen Tod preisgeben.
______________
Wir sind ein Traum der Zeiten, ein Bild der Eitelkeiten,
der Tage Maร besteht wie Rauch der bald zerrinnet,
wie Schatten, der beginnet und bald vorรผbergeht.
Es pflegen zwar die Winde, des รolus Gesinde,
im Fluge fortzuziehn. Geschwind ist eine Welle,
auch Pfeile fliegen schnelle, die Zeit schleicht eher hin.
Dies Wesen so wir treiben, ist unbestรคndigs Bleiben,
wir wallen ab und zu. Bald wirft und Furcht darnieder,
bald bringt uns Hoffnung wieder, wir wechseln Streit und Ruh.
O selig, wer die Sachen der Erde kann verlachen!
Wer bloร auf diese Zeit ihm Hoffnung weiร zu geben,
der fรผhrt ein totes Leben und stirbt in Traurigkeit.
Noten:
http://www1.cpdl.org/wiki/images/7/78/Media_vita_in_morte_sumus.pdf

Erzรคhlen gegen den Tod.
Ob witzige Frottola, bewegte Tanzmusik oder nachdenkliche Ciaccona โ die Komponisten des 16. Jahrhunderts wussten virtuos die musikalischen Formen ihrer Zeit zu nutzen und menschliche Gefรผhle unmittelbar auszudrรผcken.
Seit dem spรคten 15. Jahrhundert ist die Frottola als Sammelbegriff fรผr verschiedene Formen weltlicher Vokalmusik in Italien gebrรคuchlich. Der Name leitet sich hรถchstwahrscheinlich von โfroctaโ her, was so viel wie โSortimentโ, โSchwarmโ oder ein โStrauร erfreulicher Dingeโ bedeutet. Besonders populรคr wurden die Frottole ab 1510 durch insgesamt elf umfangreiche Drucke, die der venezianische Verleger Ottaviano Petrucci verรถffentlicht hat. Darรผber hinaus gibt es in dieser Zeit auch eine kaum zu รผberschauende Vielfalt an Frottola-Handschriften, die vor allem an ober- und mittelitalienischen Hรถfen entstanden sind. Zahlreiche dieser Werke sind anonym รผberliefert, so auch der launige Gesang โIl mรกrchese odi Salutioโ, der auf einen Grafen des kleinen Ortes Salutio unweit von Arezzo anspielt. รberliefert ist diese Frottola in einer Sammelhandschrift in Florenz.
Die Brรผder Bartholomรคus und Paul Hess waren Mitte des 16. Jahrhunderts als Stadtpfeifer und vermutlich auch als Holzinstrumentenbauer in Breslau tรคtig. Weit bekannt wurden sie 1555 durch die Verรถffentlichung einer Tanzsammlung. In dem zweiteiligen Werk befinden sich 477 Tanzsรคtze fรผr vier bis sechs Stimmen, damit handelt es sich nicht nur um den ersten deutschen Druck mit Ensembletรคnzen, sondern auch um die umfangreichste derartige Sammlung des gesamten Jahrhunderts. Obwohl der Druck durch das Fehlen eines Stimmbuchs nur unvollstรคndig erhalten ist, stellt er eine unschรคtzbar wichtige Quelle fรผr die Entwicklung der instrumentalen Tanzmusik dar.
Nur wenige Kompositionen sind von Francesco Manelli erhalten, seine Biographie liest sich jedoch รผberaus spannend: Er begann eine kirchenmusikalische Laufbahn in Rom und war ein paar Jahre als Kapellmeister an verschiedenen Kirchen tรคtig. Nach der Heirat mit seiner Frau Maddalena, einer gefeierten Sรคngerin, ging er nach Venedig, wo er als Opernkomponist, Sรคnger und Impresario bekannt wurde. Das melancholische Lied โAcceso mio coreโ ist in der Form einer Ciaccona aufgebaut, beruht also auf einem gleichbleibenden harmonischen Modell, das in der Basslinie immer wieder wiederholt wird.
Frottola-Handschrift: https://www.diamm.ac.uk/sources/1402/#/contributors
Il mรกrchese odi Salutio
dโun mattino che si levaโ,
il mรกrchese odi Salutio,
la grigiolina, la grigiolรก,
dโ un mattino che si leva,
dโ un mattino che si leva.
Der Graf von Salutio
erhob sich eines Morgens.
Der Graf von Salutio,
mein Mรคuschen, meine Maus,
der erhob sich eines Morgens,
der erhob sich eines Morgens.
______________
Acceso mio core,
deh, fuggi lโardore
di questa crudele,
di questโinfedele.
Se le dici che lโami,
si fa sorda e si ride.
Che farai, cor dolente?
Morrai sicuramente.
No no no
Non vรฒ piรน amare
Poichรจ sempre รฒ ร penareโฆ
Tu vedi, cor mio,
che spento รจ il disio
e morta รจ la fede
dโhaver tua mercede.
Oh, se parli o sospiri,
non odirti si finge
e, se mostri i martiri,
di duol le guance tinge.
No no no
Non vรฒ piรน amare
Poichรจ sempre รฒ ร penareโฆ
Mein brennendes Herz
ach flieh vor der Hรคrte
dieser Grausamen
dieser Untreuen.
Wenn du ihr sagst, dass du sie liebst,
stellt sie sich taub und spottet.
Was soll aus dir werden, du unglรผckliches Herz?
Sicher wirst du sterben.
Nein, nein, nein,
ich werde nicht mehr lieben,
denn die Liebe bringt mir stets Kummer.
Du siehst, mein Herz,
dass das Verlangen verschwendet ist,
und hin ist die Hoffnung,
dass ihr belohnt werdet.
Ach, ob du sprichst oder seufzt,
sie gibt vor, dich nicht zu hรถren.
Und wenn du dein Leiden zeigst,
verlacht sie deinen Kummer.
Nein, nein, nein,
ich werde nicht mehr lieben,
denn die Liebe bringt mir stets Kummer.

Wo steht der Mensch in der Welt?
Geistliche und weltliche Sphรคre bildeten in der Renaissancezeit keine Widersprรผche, sondern waren so eng miteinander verquickt, dass eine Unterscheidung nach heutigen Maรstรคben mรผรig erscheint. Der Glaube war omniprรคsent, Motetten wurden demnach sowohl im Gottesdienst, aber auch bei Hofe und in hรคuslicher Gemeinschaft gesungen. Und als Vor- oder Nachspiel konnte an ebendiesen Orten nicht-liturgische Instrumentalmusik gespielt werden.
Spรคrlicher geht es kaum: รber das Leben und die musikalische Laufbahn von Michael Deiss wissen wir fast nichts. Bekannt sind weder Geburts- oder Todesdatum noch irgendwelche Hinweise auf Herkunft und Ausbildung. Dokumentiert ist Deiss lediglich fรผr einige Jahre als Hofsรคnger des Kaisers Ferdinands I. sowie des Erzherzogs Karls II. Ganze 14 Motetten sind von Deiss in einer Verรถffentlichung von 1568 erhalten, diese zeigen eine ausgereifte Kompositionstechnik. Die vierstimmige Motette โVenit Michael Archangelusโ zitiert eine Antiphon zum Fest des Erzengels Michael.
Die Anwesenheit eines spanisch geprรคgten Hofes in Neapel zog im 16. Jahrhundert viele Spanier in die Hafenstadt am Vesuv. Auf diese Weise traf um 1550 der aus Toledo stammende Musiktheoretiker und Komponist Diego Ortiz in Neapel ein. Bereits kurze Zeit spรคter wurde er in die Hofkapelle des spanischen Vizekรถnigs aufgenommen und 1558 zu deren Kapellmeister ernannt. Im Jahre 1553 verรถffentlichte Ortiz ein umfangreiches theoretisches Werk, den โTratado de glosas sobre clausulas y otros generos de puntos en la musica de violonesโ. Hinter dem langen Titel verbirgt sich eine ausfรผhrliche Anleitung zur Verzierungs- und Improvisationskunst, bestimmt als anregendes Nachschlagewerk fรผr Musiker jeglicher Couleur. In diesem Band finden sich etliche instrumentale Musterstรผcke (von ihm โRecercadasโ genannt) รผber bestimmte Bassformeln, in denen unterschiedliche Satzmodelle vorgefรผhrt werden. Das Traktat von Ortiz, gleichzeitig in spanischer und italienischer Sprache erschienen, ist ein Meilenstein der europรคischen Instrumentalmusik.
Noten: http://www2.cpdl.org/wiki/images/5/57/Deiss-VenitMichael.pdf
Faksimile โTratado de glosasโ: https://ks.imslp.net/files/imglnks/usimg/1/11/IMSLP60622-PMLP120083-002ortiz.pdf
Venit Michael archangelus cum multitudine angelorum;
cui Deus tradidit animas sanctorum,
ut perducat eas ad regna coelorum.
Alleluja.
Der Erzengel Michael kam mit einer Vielzahl von Engeln;
ihm hat Gott die Seelen der Heiligen รผbergeben,
damit er sie in das Himmelreich geleite.
Halleluja.
Noten: http://www2.cpdl.org/wiki/images/5/57/Deiss-VenitMichael.pdf
Faksimile โTratado de glosasโ: https://ks.imslp.net/files/imglnks/usimg/1/11/IMSLP60622-PMLP120083-002ortiz.pdf

Die Anfรคnge der vergleichenden Anthropologie.
Wenn in der Renaissance gesungen wurde und nicht gerade geistliche Texte anstanden, dann ging es meist um die Liebe: direkt und unverblรผmt, verschlรผsselt und geheim, melancholisch und tieftraurig. Es scheint, als seien die vielen Lieder, Madrigale, Frottole, Songs und Chansons dieser Zeit wie eine Art Ventil, Dinge anzusprechen, die ansonsten im รถffentlichen Leben Tabu waren.
Drei anonyme Kompositionen sind hier zusammengefasst, die die volksmusikalische Herkunft vieler Renaissance-Kompositionen reprรคsentieren. Aus Lateinamerika stammt der Gesang โMarizรกpalosโ, der recht eindeutig von der Beziehung eines jungen Paares spricht. Kurioserweise war es jedoch ein Geistlicher, der diese Dichtung verfasst hat: Gregorio de Zuola, Ordensmann in Cochabamba (heute Bolivien) hat eine ganze Sammlung mit solchen Gedichten geschrieben, die Episoden aus dem Volk in leicht ironisierender Weise wiedergeben. Populรคr wurde das Ganze sehr schnellโฆ
Ein beliebtes Tanzmodell des 16. Jahrhunderts war der Basse danse. Seinem Charakter nach handelt es sich um einen langsamen Schreittanz, der von den verschiedensten Komponisten und Verlegern dieser Zeit immer wieder neu bearbeitet und herausgegeben wurde. Eine Spur davon findet sich auch noch in der Tanzsammlung โThe English Dancing Masterโ, die Mitte des 17. Jahrhunderts von John Playford publiziert wurde: โOver the hills and far awayโ.
In England entstand auch die Dichtung โFortune my foeโ als ein melancholisches Bild รผber den Verlust einer Liebe. Kombiniert mit einer volkstรผmlichen Melodie wurde das Lied schnell populรคr und ganz offensichtlich auch im Kontext รถffentlicher Hinrichtungen gesungen. Etliche Komponisten, darunter auch John Dowland, fertigten instrumentale Bearbeitungen dieses Liedes an.
Links:
รberblick Basse danse: https://de.wikipedia.org/wiki/Basse_danse
Information โFortune my foeโ: https://omeka.cloud.unimelb.edu.au/execution-ballads/items/show/1134
Marizรกpalos era muchacha,
enamoradita de Pedro Martรญn,
por sobrina del cura estimada,
la gala del pueblo, la flor del abril.
Merendaron los dos a la mesa
que puso Marieta de su faldellรญn
y Perico, mirando a lo verde,
comiรณ con la salsa de su perejil.
Al ruido que hizo en las Hojas
de las herraduras de cierto rocรญn,
el Adonis se puso en huida,
temiendo los dientes de algรบn jabali.
Era el cura que al soto venรญa
y, si poco antes aportara alli,
como sabe gramatica el cura,
pudiera cogerlos en el mal latin.
Marizรกpalos war ein junges Mรคdchen,
verliebt in Pedro Martin,
geschรคtzt als Nichte des Priesters,
der Stolz ihrer Stadt, die schรถnste Blรผte des Frรผhlings.
Die beiden aรen an dem Tisch,
den das Mรคchen aus ihrem Unterrock bereitet hatte,
und der junge Pedro, der die frische Speise sah,
verschlang sie mit seiner eigenen Petersiliensoรe.
Als er das Gerรคusch von Pferdehufen vernahm,
die raschelnd das Herbstlaub durchpflรผgten,
nahm unser Adonis seine Beine in die Hand,
denn er fรผrchtete die Hauer eines Wildschweins.
Es war der Priester, der auf dem Weg in das Wรคldchen war.
Und wรคre er etwas frรผher dorthin gekommen,
hรคtte er, der die Grammatik beherrschte,
sie beim Gebrauch schlechten Lateins ertappt.
___________
Fortune, my foe, why dost thou frown on me?
And will thy favour never better be?
Wilt thou, I say for ever breed my pain?
And wilt thou not restore my joys again?
Fortune hath wrought my grief and great annoy,
fortune hath falsly stoln my love away,
my love and joy, whose sight did make me glad,
such great misfortunes never young man had.
Far worse then death my life I lead in woe,
with bitter thoughts still tossed too and fro.
O cruel chance, thou breeder of my pain,
take life or else restore my love again.
Fortuna, meine Freundin, warum zรผrnst du mir
und gรถnnst mir nichts von deiner Gunst?
Willst du meine Schmerzen nur immerzu vermehren
und willst du mir keine Freude zurรผckgeben?
Fortuna hat mir Kummer und Verdruss eingebracht,
Fortuna hat verlogen meine Liebe gestohlen,
meine Liebe und Freude, deren Anblick mich glรผcklich machte,
so groรes Unglรผck hatte noch kein junger Mann.
Ich fรผhre ein Leben in Klage, schlimmer als der Tod,
mit bitteren Gedankken hin und her geworfen.
O du grausames Schicksal, das meine Qualen ausbrรผtet,
nimm mein Leben oder bring mir meine Liebe zurรผck.

Was Herr von Montaigne รผber das Glรผck denkt.
Glรผck und Schicksal werden oft gemeinsam besungen, ob in Frankreich, Spanien oder Italien.
Aus dem 15. Jahrhundert stammt das anonym รผberlieferte Lied โIl est de bonne heureโ. Es manifestiert gewissermaรen das Schicksal eines glรผcklichen Menschen, der zur guten Stunde geboren ist. Gedruckt wurde das Stรผck in einem der ersten Musikdrucke des venezianischen Verlegers Petrucci.
In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts entstand der Cancionero de Palacio, eine wertvolle Handschrift, der das musikalische Repertoire reprรคsentiert, das am Hofe der โkatholischenโ Kรถnige Isabella und Ferdinand von Spanien musiziert wurde. Enthalten sind in dem Manuskript mehr als 450 musikalische Werke. Besonders stark vertreten ist die Gattung โVillancicoโ, also einfache Gesรคnge, deren Ursprรผnge oft in volksmusikalischen Traditionen liegen.
Filippo Azzoiolo, ein Komponist aus Bologna, รผber den nur wenige biographische Informationen bekannt sind, war ein Meister im Komponieren von eingรคngigen Melodien und Liedern. Dabei verarbeitete er hรคufig bereits existierende volksmusikalische Gesรคnge, deren Ursprรผnge zum Teil bis ins 15. Jahrhundert zurรผckreichen. Seine Werke publizierte Azzoiolo unter dem Gattungstitel โVillotteโ.
Noten:
https://www.mutopiaproject.org/cgibin/piece-info.cgi?id=198
http://www1.cpdl.org/wiki/images/3/30/Ws-enc-amo5.pdf
http://www2.cpdl.org/wiki/images/c/c9/Gentil_madonna_Azzaiolo.pdf
Il est de bonne heure nรฉ
qui tient sa dame en un prรฉ
sur lโherbe jolie.
Ma trรจs douce amie,
Dieu vous doint le bonjour.
Quโavez en pensรฉe,
dites, quโavez-vous?
Par ma foy mon bel ami,
le conseil en est tout pris,
je ne vous aime mie.
Der ist zu guter Stunde geboren,
der seine Dame hรคlt auf einer Wiese
รผber schรถnem Gras.
Meine sรผรeste Dame,
Gott gebe euch einen guten Tag.
Was denkt Ihr, sagt,
was denkt ihr?
Meiner Treu, mein schรถner Freund,
ich habe es mir genau รผberlegt,
ich liebe euch kein bisschen.
__________
Amor con fortuna
me muestra enemiga.
No sรฉ quรฉ me diga.
No se lo que quiero,
pues busque mi daรฑo,
Yo mesmo mโengaรฑo,
me seto do muero.
Y, muerto, no spero
salir de fatiga,
No se que me diga.
Amor me persigue
con muy cruda guerra
Por mar y por tierra
Fortuna me sigue.
ยฟQuien ay que desligue
amor donde liga?
No sรฉ quรฉ me diga.
Fortuna traidora
me hace mudanca
Y amor, esperanza
Que siempre empeora
Jamรกs no mejora
Mi suerte enemiga
No sรฉ que me diga.
Amor und Fortuna
sind mir zu Feinden geworden.
Ich weiร nicht, was das bedeutet.
Ich weiร nicht, was ich will,
denn ich suche mein eigenes Unglรผck.
Ich betrรผge mich selbst,
ich suche meinen Tod
und, gestorben, habe ich keine Hoffnung,
meiner Mรผhsal zu entkommen.
Ich weiร nicht, was das bedeutet.
Amor verfolgt mich
mit einem grausamen Krieg.
Zu Wasser und zu Land
verfolgt mich Fortuna.
Wer kann sich befreien,
wenn Amor ihn gebunden hat?
Ich weiร nicht, was das bedeutet.
Die Verrรคterin Fortuna
spielt mir รผble Streiche
und Amor gibt nur Hoffnungen,
die stets zunichte werden.
Niemals Besseres
gewรคhrt mir mein feindliches Los.
Ich weiร nicht, was das bedeutet.
__________
Gentil madonna, del mio cor patrona
E di mia vita ancor.
Sola nel mondo mia ferma colonna
Rimedio a ogni mio ardor.
Son qui venuto, per dirtโ il tutto
E per contarte di parte in parte
Tutte le pene que dโAmor viene
Gentil madonna il rimedio sei tu
Il rimedio sei tu, deh! Non star piรน!
Se ben ti voglio cara mia signora
Perchรจ no vuoi a me?
Sappi che sei la mia cara decora
E fa chโio sia di te.
Sโio son fedele, nโesser crudele
Se ben ti voglio non me ne doglio
Vivo in speranza che in tua fidanza
Gentil madonna il rimedio sei tu
Il rimedio sei tu, deh! Non star piรน!
Edle Dame, Herrin meines Herzens
und auch meines Lebens,
einzige feste Stรผtze in dieser Welt,
Heilung all meines Sehnens:
ich bin hierher gekommen, um dir alles zu sagen,
und dir im Detail zu erzรคhlen
alle Qualen, die Amor verursacht;
edle Dame, das Heilmittel bist du,
das Heilmittel bist du, ach, zรถgere nicht lรคnger!
Wenn ich dich haben will, meine liebste Herrin,
warum willst du mich nicht?
Wisse, dass du meine teure Verehrte bist,
und sorge dafรผr, dass ich der deine bin.
Wenn ich dir gut bin, dann leide ich nicht,
ich lebe in der Hoffnung auf deine Treue,
edle Dame, das Heilmittel bist du,
das Heilmittel bist du, ach, zรถgere nicht lรคnger!
Noten:
https://www.mutopiaproject.org/cgibin/piece-info.cgi?id=198
http://www1.cpdl.org/wiki/images/3/30/Ws-enc-amo5.pdf
http://www2.cpdl.org/wiki/images/c/c9/Gentil_madonna_Azzaiolo.pdf

Mitwirkende:
- Margaret Hunter, Sopran
- Birgit Bahr, Altpommer
- Gerd Wameling, Sprecher
- Tural Ismayilov, Posaune
- Annette Hils, Blockflรถte & Bassdulzian
- Iris Drรถgekamp, Wortregie
- Regina Hahnke, Bassdulzian
- Peter Schmucker, Textauswahl
- Ulrich Wedemeier, Laute und Gitarre
- Martina Fiedler, Orgel
- Katharina Bรคuml, Schalmei & Kรผnstl. Leitung
- Mike Turnbull, Percussion

