„Fernseher“, „Koffer“ und „Salmiakpastille“ – Mensuralnotation für Einsteiger

Ein Höhepunkt der Musikgeschichte ist die polyphone, das heißt mehrstimmige Musik des 16. Jahrhunderts. Tonaufnahmen aus dieser Zeit gibt es natürlich nicht. Wir können diese Musik singen und spielen, weil sie uns schriftlich überliefert ist, nämlich in der Form der Weißen Mensuralnotation: weiß, weil die meisten Notenköpfe nur in Umrissen gezeichnet und innen weiß wie die Schreibunterlage sind, und Mensuralnotation, weil jede Note einen festen Zeitwert hat, jeweils soundso viele Schläge; „Mensur“ kommt von „messen“. Nur so können mehrere Noten gleichzeitig so zusammengefügt werden, dass sie zusammenpassen, dass es schöne Harmonien gibt.

1. Was ist „Weisse Mensuralnotation“/ Formate (Chor-/Stimmbuch)
Die Noten sind nicht in Form einer modernen Partitur auf einem Blatt übereinandergeschrieben. Stattdessen erscheint jede Stimme einzeln für sich, entweder ganz getrennt in einem eigenen „Stimmbuch“, oder alle Stimmen nebeneinander in einem „Chorbuch“. Während jeder Mitwirkende ein Stimmbuch für sich hat, singen alle zusammen aus einem einzigen Chorbuch.

2. Der Schlüssel zum Erfolg
Das Notensystem besteht wie unser modernes aus fünf Linien. Jede davon kann einen Schlüssel tragen und damit die Tonhöhe für das gesamte System festlegen. Neben unserem gewohnten g-Violinschlüssel und f-Basschlüssel kommen sehr häufig c-Schlüssel vor, die auf allen Linien stehen können. Am Ende einer Notenzeile ist durch einen Kringel, den „custos“, „Wächter“, die Tonhöhe gekennzeichnet, auf der es in der nächsten Zeile weitergeht.

3. Tactus und Mensurzeichen
Wie schnell die Noten zu spielen sind, wird nicht wie heute durch Tempoangaben wie „allegro“ oder „largo“ geregelt, sondern durch Mensur- und Proportionszeichen. Es gilt der „tactus“, der stets gleiche Grundschlag von etwa 60 pro Minute; die Mensurzeichen geben an, wie viele (zwei, drei oder mehr) kleinere Notenwerte (z.B. „Semibreven“) auf den nächstgrößeren (z.B. „Breven“) zu zählen sind.

4. Tempus Imperfectum: Notenwerte und Pausen
Jede Note hat ihre eigene Bezeichnung. Im „tempus imperfectum“, dem „unvollkommenen Zeitmaß“, fallen zwei Semibreven oder die ihnen entsprechenden Pausen (sehen aus wie unsere modernen Ganzen, aber eckig) auf den nächstgrößeren Wert, die Brevis.

5. Tempus Perfectum I: Notenwerte und Pausen
Im „tempus perfectum“, dem „vollkommenen Zeitmaß“, fallen drei Semibreven oder die ihnen entsprechenden Pausen auf die Brevis („vollkommen“ ist die göttliche Dreieinigkeit). Achtung: Während das Spiel beim Zählen von aufeinanderfolgenden Semibreven sich kaum von dem im tempus imperfectum unterscheidet, treten Schwierigkeiten gerne bei längeren Noten- und Pausenwerten (drei statt zwei Schläge pro Brevis) auf.

6. Tempus Perfectum II: Punctum divisionis, Imperfektion
Im tempus perfectum müssen auf die Brevis drei Semibreven fallen. Dazu kann eine Brevis von einer folgenden oder auch vorausgehenden Semibrevis von drei Schlägen auf zwei verkürzt, „imperfiziert“ werden. Zur Abgrenzung der einzelnen Mensuren voneinander werden gelegentlich Zeichen eingesetzt, z.B. der „Teilungspunkt“, das „punctum divisionis“.

7. Ligaturen
In der Notation der Gregorianik werden Zeichen verwendet, die mehr als eine Note darstellen: „Neumen“. Die hat auch die weiße Mensuralnotation übernommen; sie heißen „Ligaturen“, weil sie mehrere Noten verbinden („ligare“ ist „anbinden“). Aufgrund fester Regeln sind alle Kombinationen von Semibreven und Breven in Ligaturen darstellbar. Dabei ist die Mensur (tempus perfectum/ imperfectum) zu berücksichtigen.

8. Und sonst noch…
Hier haben wir für Euch zusammengefasst, auf welche wichtigen Themen der weissen Mensuralnotation wir in diesen Tutorials nicht weiter eingehen konnten. Wenn Ihr aber mehr wissen wollt und weitersingen und -spielen, schaut gerne in den “Tibicen”, unseren umfassenden Kommentar zum Thema.

Wir danken sehr herzlich Musica Ahuse für die Gastfreundschaft, Anna-Kristina Bauer und Andreas Graf für den Videoschnitt und Peter Schmucker für die musikwissenschaftliche Beratung!