Programmheft

Capella de la torre – Cavalli Requiem

Margaret Hunter, Sopran
Cecile Kempenaers, Sopran
Julia Spies, Alt
Kai Wessel, Alt
Minsub Hong, Tenor
Hermann Oswald, Tenor
Jakob Ahles, Bass
Tobias Schlierf, Bass
Capella de la Torre
Katharina Bäuml,
Schalmei und Leitung

Pierre de la Rue
(1460/70-1518)
„Vexilla Regis – Passio Domini“

Francesco Cavalli
(1602-1676)
„Introitus: Requiem aeternam“
aus „Missa pro defunctis“

Francesco Cavalli
„Kyrie“
aus „Missa pro defunctis“

Francesco Cavalli
„Sequenz: Dies irae“
aus „Missa pro defunctis“

Maurizio Cazzati
(1616-1678)
Passacaglio
(instrumental)

Francesco Cavalli
„Offertorium: Domine Jesu Christe“
aus „Missa pro defunctis“

Francesco Cavalli
Sinfonia
aus „Gli amori d’Apollo e di Dafne“
(instrumental)

Francesco Cavalli
„Sanctus“
aus „Missa pro defunctis“

Francesco Cavalli
„Agnus Dei“
aus „Missa pro defunctis“

Francesco Cavalli
„O bone Jesu“

Francesco Cavalli
„Libera me“
aus „Missa pro defunctis“

Francesco Cavalli
„In convertendo“

Orlando di Lasso
(1530/32-1594)
„Miserere“
(instrumental)

Giovanni Bassano
(1551/52-1617)
„Dic nobis Maria“

Maurizio Cazzati
Passacaglio
(instrumental)
Gregorianik
„Victimae paschali laudes“

Francesco Cavalli hieß eigentlich Pier Franceso Caletti-Bruni und erblickte 1602 das Licht der Welt als Sohn des Domkapellmeisters im lombardischen Crema. Als Komponist nahm er später den Namen seines Patrons, des Gouverneurs der Stadt, an. Dieser Federigo Cavalli nahm den begabten Knaben nach Venedig mit und setzte ihn als Sänger im Markusdom und später als Organist ein. Doch ab 1639 war der Kirchenmusiker vor allem Opernmaestro, der bedeutendste zwischen Claudio Monteverdi und Alessandro Scarlatti. Als solcher wirkte er höchst erfolgreich in Venedig,Neapel, Mailand und Paris. Seinen Lebensabend verbrachte er ab 1662 in der Lagunenstadt wieder mit mehr „Musica sacra“. Er starb 1676 als Kapellmeister von San Marco. Von seinen vierzig Opern blieben dreißig erhalten; neben ihrer dramatischen Kraft und ihrem damals neuen, virtuosen Belcanto-Stil zeichnen sich die Stücke oft durch volkstümlichen Humor aus. Seit etwa 1980 wird sein reiches Schaffen wiederentdeckt. Die „Missa pro defunctis“ schrieb er in seiner letzten Lebenszeit als Requiem für sich selbst und versah sie übrigens mit exakten liturgischen Anweisungen. Der Mann wusste um seinen Wert. Das von tiefer Gläubigkeit und melo- discher Inspiration erfüllte Werk ge- riet nie ganz in Vergessenheit. So meinte der deutsche Musikhistoriker August Wilhelm Ambros (1816-1876), das Stück stehe dem „spirituellen Niveau“ des Requiems von Mozart „in nichts nach.“

In der Tat – hier blickt ein Meister der späten Renaissance nicht nur in das Hochbarock, sondern mitunter sogar schon in die Epoche der Empfindsamkeit. Er schrieb in hohem Alter sehr persönliche, vom Humanismus getragene „Neue Musik“. Trotz der an Palestrina geschulten Satzkunst und der typischen venezianischen Doppel- chörigkeit kommt es zu erstaunlich deklamatorischen Passagen. Ein gregorianisches Fundament ist nur im „Introitus“ und im „Agnus Dei“ aus- zumachen. Das machtvolle, achtstimmige „Dies irae“ wird häufig von intimeren, von wenigen Stimmen gesungenen Abschnitten kontrastiert. Bei manchen musikalischen Figuren, etwa denen zum „Lacrimosa“, denkt man wahrlich an Mozart. Es könnte durchaus sein, dass dieser das Werk auf einer seiner Italienreisen kennengelernt hatte.

Die Capella de la Torre umgibt dieses zeitlose Meisterwerk mit anderer Musik der Renaissance. Pierre de la Rue war ein sehr erfolgreicher und innovativer Musiker der franko-flämischen Schule und wirkte am Hof der Habsburger Maximilian I. und Philipps des Schönen. Die das Konzert einleitende Karwochen-Motette „Vexilia Regis – Passio Domini“ zählt zu seinen frühen Stücken. Zwischen zwei Sätzen von Cavallis Requiem fügt sich eine Passacaglia des eigenwilligen, bei den ihm untergebenen Musikern wegen seiner Strenge gefürchteten Mantuaners Mauricio Cazzati, eines Priesters und Kapellmeisters, der neben Kirchenmusik und fünf Opern auch einfallsreiche, in die Zukunft weisende Instrumentalmusik komponierte. Da er dies vor allem in seiner Zeit in San Petronio in Bologna tat, gilt er als Begründer der „Bologneser Schule“. Seine Passacaglia-Sätze aus den Sonaten für Streicher und Continuo (meist Cembalo und Theorbe) eignen sich besonders gut für stimmungsvolle Zwischenspiele.

Der Flame Orlando di Lasso begann als Chorknabe, wurde zweimal wegen seiner „hellen, lieblichen Stimm’“ entführt und kam beim dritten Mal im Gefolge des Vizekönigs von Sizilien, Ferrante Gonzaga, 1545 nach Italien. In Rom, Antwerpen und schließlich am Hof zu München wurde der polyglotte, sehr impulsive Mann zum führenden Komponisten der Hochrenaissance. Seine Bitte um Erbarmen, „Miserere“, beschließt mit wundersam fließenden Linien das Requiem. Auf die meisterliche Kontrapunktik des „Dic nobis Maria“ des am Markusdom tätigen Venezianers Giovanni Bassano folgt dann noch eine atmosphärische Passacaglia Cassatis in der Bearbeitung des Ensembles, ehe die gregorianische Lobpreisung des Erlösers eine Brücke vom Karfreitag zur Osternacht der Auferstehung bildet.

Gottfried Franz Kasparek


Introitus
Requiem æternam dona eis, Domine,
et lux perpetua luceat eis.
Te decet hymnus Deus in Sion:
et tibi reddetur votum in Jerusalem,
exaudi orationem meam,
ad te omnis caro veniet.

Herr, gib ihnen die ewige Ruhe,
und das ewige Licht leuchte ihnen.
Dir gebührt Lob, Herr, auf dem Zion,
Dir erfüllt man Gelübde in Jerusalem.
Erhöre mein Gebet;
zu Dir kommt alles Fleisch.

Kyrie
Kyrie eleyson
Christe eleyson
Kyrie eleyson

Herr, erbarme dich
Christus, erbarme dich
Herr, erbarme dich


Sequenz: Dies irae
Dies irae dies illa,
Solvet saeclum in favilla:
Teste David cum Sibylla.

Tag der Rache, Tag der Sünden,
Wird das Weltall sich entzünden,
wie Sibyll und David künden.

Quantus tremor est futurus,
Quando iudex est venturus,
Cuncta stricte discussurus!

Welch ein Graus wird sein und Zagen,
Wenn der Richter kommt,
mit Fragen Streng zu prüfen alle Klagen!

Tuba mirum spargens sonum
Per sepulcra regionum
Coget omnes ante thronum.

Laut wird die Posaune klingen,
Durch der Erde Gräber dringen,
Alle hin zum Throne zwingen.

Mors stupebit et natura,
Cum resurget creatura,
Judicanti responsura.

Schaudernd sehen Tod und Leben
Sich die Kreatur erheben,
Rechenschaft dem Herrn zu geben.

Liber scriptus proferetur,
In quo totum continetur,
Unde mundus judicetur.

Und ein Buch wird aufgeschlagen,
Treu darin ist eingetragen
Jede Schuld aus Erdentagen.

Judex ergo cum sedebit,
Quidquid latet apparebit:
Nil inultum remanebit.

Sitzt der Richter dann zu richten,
Wird sich das Verborgne lichten;
Nichts kann vor der Strafe flüchten.

Quid sum miser tunc dicturus?
Quem patronum rogaturus,
Cum vix justus sit securus?

Weh! Was werd ich Armer sagen?
Welchen Anwalt mir erfragen,
Wenn Gerechte selbst verzagen?

Rex tremendae majestatis,
Qui salvandos salvas gratis:
Salva me, fons pietatis.

König schrecklicher Gewalten,
Frei ist Deiner Gnade Schalten:
Gnadenquell, lass Gnade walten!

Recordare Jesu pie,
Quod sum causa tuae viae:
Ne me perdas illa die.

Milder Jesus, wollst erwägen,
Dass Du kamest meinetwegen,
Schleudre mir nicht Fluch entgegen.

Quaerens me, sedisti lassus:
Redemisti crucem passus:
Tantus labor non sit cassus.

Bist mich suchend müd gegangen,
Mir zum Heil am Kreuz gehangen,
Mög dies Mühn zum Ziel gelangen.

Juste judex ultionis,
Donum fac remissionis,
Ante diem rationis.

Richter Du gerechter Rache,
Nachsicht üb in meiner Sache
Eh ich zum Gericht erwache.

Ingemisco, tamquam reus:
Culpa rubet vultus meus:
Supplicanti parce Deus.

Seufzend steh ich schuldbefangen,
Schamrot glühen meine Wangen,
Lass mein Bitten Gnad erlangen.

Qui Mariam absolvisti,
Et latronem exaudisti,
Mihi quoque spem dedisti.

Seufzend steh ich schuldbefangen,
Schamrot glühen meine Wangen,
Lass mein Bitten Gnad erlangen.

Preces meae non sunt dignae:
Sed tu bonus fac benigne,
Ne perenni cremer igne.

Wenig gilt vor Dir mein Flehen;
Doch aus Gnade lass geschehen,
Dass ich mög der Höll entgehen.


Missa pro defunctis
Introitus
Requiem æternam dona eis, Domine,
et lux perpetua luceat eis.
Te decet hymnus Deus in Sion:
et tibi reddetur votum in Jerusalem,
exaudi orationem meam,
ad te omnis caro veniet.

Kyrie
Kyrie eleyson
Christe eleyson
Kyrie eleyson

Sequenz: Dies irae
Dies irae dies illa,
Solvet saeclum in favilla:
Teste David cum Sibylla.
Quantus tremor est futurus,
Quando iudex est venturus,
Cuncta stricte discussurus!
Tuba mirum spargens sonum
Per sepulcra regionum
Coget omnes ante thronum.
Mors stupebit et natura,
Cum resurget creatura,
Judicanti responsura.

Margaret Hunter, Sopran

Die aus Boston stammende Sopranistin Margaret Hunter erhielt ihre Ausbildung in ihrer Heimatstadt, in Oxford und an der Hochschule für Künste, Bremen. Ihr Repertoire reicht vom 11. Jahrhundert bis zur Moderne. Neben ihre Tätigkeit als Konzertsängerin in Europa, Nordamerika und Asien arbeitet sie regelmäßig als Solistin mit renommierten Ensembles im Bereich der Alten Musik. Ihre Arbeit ist durch zahlreiche Rundfunkaufnahmen und CD-Produktionen dokumentiert. Auf der Opernbühne wirkte sie bei Produktionen von Werken des 17., 18., und 21. Jahrhunderts in Deutschland, Italien, England und den USA mit. Margaret Hunter gibt heute ihr Debüt in der Philharmonie Essen.


Cecile Kempenaers, Sopran

Cécile Kempenaers studierte Gesang bei Mireille Capelle am Konservatorium in Gent (Belgien) und später bei Margreet Honig (Amsterdam). Sie ist hauptsächlich solistisch im Konzertfach tätig und arbeitete mit Dirigenten wie Philippe Herreweghe, Marcus Creed, Daniel Reuss und Barockorchestern wie dem Collegium Vocale Gent, Akademie für Alte Musik Berlin, Freiburger Barockorchester und der Lautten Compagney zusammen, mit denen sie sowohl konzertant als auch für zahlreiche CD-Produkionen sang. Sie singt auch in verschiedenen Ensembles wie Capella de la Torre, Zefiro Torna, Huelgas Ensemble, Ricercar, Vocalconsort Berlin, Weser-Renaissance, Akadêmia, La Fenice, Cappella Amsterdam und dem Balthasar-Neumann-Chor. Mit der Compagnie Sasha Waltz & Guests arbeitete sie für mehrere Opernproduktionen zusammen. In der Philharmonie Essen ist sie erstmals zu erleben.