Konzertaufzeichnung vom 19.06.2021 um 18:00h
aus der Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel
Manche Fehleinschätzungen halten sich erstaunlich hartnäckig. Etwa die von Michael Praetorius als kreuzbravem Provinzkapellmeister am Hof zu Wolfenbüttel, einem Durchschnittsmusiker im ewigen Schlagschatten seiner großen Kollegen. Höchste Zeit also, aus Anlass seines 400.Todestages mit den schwerwiegendsten Vorurteilen aufzuräumen. Als Sohn eines lutherischen Pfarrers aus Creuzburg an der Werra war Praetorius stets ein Mann des Geistes, hochgebildet, erfolgreicher Student der Theologie und Philosophie, versierter Organist und beschlagener, überaus einflussreicher Musiktheoretiker. Vor allem aber ein durch und durch aufgeschlossener Komponist, der die neuesten Stilentwicklungen – insbesondere diejenigen südlich der Alpen – mit wachem Interesse verfolgte, um sie in seinem eigenen Schaffen zu reflektieren. So geben die faszinierenden Choralkonzerte seiner späten, 1619 veröffentlichten Sammlung der Polyhymnia Panegyrica, die das heutige Programm rahmen, einen geradezu überbordenden Widerhall jener opulenten Vokaltechniken, die die italienische Mehrchörigkeit in ganz Europa berühmt gemacht hatten. Himmelwärts strebend, farbenreich und expressiv zugleich, üppig besetzt “mit allerhand musikalischen Instrumenten und Menschenstimmen”. Praetorius selbst, obwohl weitgereist, konnte vom Land seiner Sehnsüchte leider nur träumen. Wir bringen ihn nun, vier Jahrhunderte später, mit einer Reihe italienischer Zeitgenossen zusammen, die er persönlich nie kennenlernen durfte. Merke: Beim RIAS Kammerchor gehen Träume in Erfüllung.
- RIAS Kammerchor Berlin
- Capella de la Torre
- Katharina Bäuml
- Florian Helgath, Dirigent
Virtuelles Programmheft
Mit der Autorität eines Universalgelehrten beschreibt Michael Praetorius in seinem großen Lehrwerk „Syntagma Musicum“ den Status der europäischen Musik um 1600. Die Vorrangstellung Italiens räumt er unumwunden ein und zitiert ausführlich aus den neuesten Werken der dortigen Kompositionskollegen. Praetorius selbst war allerdings nie eine Reise nach Italien vergönnt. Keinen der von ihm vielfach erwähnten Zeitgenossen – Monteverdi, Cifra, Viadana, Agazzari – hat er je persönlich getroffen. Im Jubiläumsprogramm anässlich seines 400. Todestages werden ausgewählte Kompositionen von Praetorius mit Werken jener italienischer Komponisten kombiniert, die von ihm in seinem Lehrwerk „Syntagma musicum“ als Vorbilder angeführt werden.
Links:
Portal zu Praetorius mit ausführlichen Informationen zu Leben und Werk, Hinweisen auf Notenausgaben und auf aktuelle Veranstaltungen: www.michael-praetorius.de
Geboren um 1572 in Creuzburg an der Werra, wuchs Michael Praetorius als Sohn eines Pfarrers auf, der seinerseits noch bei Martin Luther und Philipp Melanchthon studiert hatte. Auch Michael Praetorius strebte ein Theologiestudium an und ging dafür nach Schuljahren in Torgau und Zerbst an die Viadrina nach Frankfurt (Oder). Um sich sein Studium finanzieren zu können, wirkte er dort bereits als Organist an der Universitäts- und Pfarrkirche St. Marien und erarbeitete sich erste musikalische Reputation. Um 1589 verließ er Frankfurt und setzte seine Studien in Helmstedt fort. Hier wurde der in Wolfenbüttel residierende Herzog Heinrich Julius von Braunschweig auf die umfassenden Begabungen von Praetorius aufmerksam und engagierte ihn 1593 als Hoforganist. Da Heinrich Julius in Personalunion auch postulierter Bischof im (protestantischen) Halberstadt war, ergaben sich für Praetorius enge Verbindungen zu dieser Stadt sowie zur Bischofsresidenz nach Gröningen (bei Halberstadt).
Für seinen Dienstherrn war Praetorius außerordentlich vielseitig tätig: Er schrieb zahlreiche Kompositionen, hatte als Hofbeamter aber auch häufig allgemeinere Aufgaben eines Sekretärs zu übernehmen und begleitete den Herzog regelmäßig auf Reisen. 1604 stieg Praetorius dann zum Kapellmeister auf und war damit für alle musikalischen Aktivitäten am Hof verantwortlich.
Der Ruf von Praetorius als herausragende musikalische Autorität verbreitete sich nun rasch über den gesamten mitteldeutschen Raum. Immer wieder wurde er um Gutachten für Orgelneubauten oder um Ratschläge zur Neuordnung von Hofkapellen gebeten. Gleichzeitig mehrten sich für ihn die Aufträge für Festmusiken zu außergewöhnlichen Anlässen wie Hochzeiten einflussreicher Adliger oder politische Gipfeltreffen.
Nach dem Tod des Braunschweiger Herzogs 1613 gelang es dem Dresdner Kurfürsten Johann Georg I., Praetorius an den Sächsischen Hof zu verpflichten. Praetorius hielt sich in den folgenden Jahren regelmäßig in Dresden auf und kam in dieser Zeit auch mit dem jungen Heinrich Schütz in Berührung, der ab 1614 gleichfalls in Dresden weilte. In seinen letzten Lebensjahren reiste Praetorius rastlos zwischen Wolfenbüttel, Dresden und anderen Orten umher, um seinen vielen Aufgaben gerecht zu werden. Brieflichen oder persönlichen Kontakt hielt er mit zahlreichen Persönlichkeiten der Zeit, unter anderem mit den Thomaskantoren Sethus Calvisius und Johann Hermann Schein, mit Heinrich Schütz und Johann Staden sowie mit den Orgelbauern Esaias Compenius und Gottfried Fritzsche.
Praetorius starb im Februar 1621 und wurde unter der Orgelempore seiner wichtigsten Wirkungsstätte, der Kirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel, beigesetzt.
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Bereits im Titel seiner Sammlung „Puericinium“ wird deutlich, dass Michael Praetorius hier den hohen Stimmen, also den Knabenstimmen, eine besondere Rolle überträgt. Die 14 Choralkonzerte dieses Bandes sind üppig besetzt und weisen jeweils als „Klangkrone“ drei oder vier „Cantus“-Stimmen auf, die von weiteren Vokal- und Instrumentalstimmen begleitet werden.
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Das Magnificat, also den Lobgesang Mariens, wie er im Lukas-Evangelium überliefert ist, hat Michael Praetorius vielfach vertont. Das verwundert nicht, war doch das Magnificat fester Bestandteil der Vesper-Liturgie und wurde entsprechend häufig auch in feierlicher mehrstimmiger Weise dargeboten. In seinem Druck „Puericinium“ von 1621 hat Praetorius eine bis zu 14-stimmige Vertonung des deutschen Magnificat-Textes „Meine Seel erhebt den Herren“ veröffentlicht. Gekrönt wird der ohnehin groß besetzte musikalische Satz – wie bei den weiteren Choralkonzerten in diesem Druck – durch Knabenstimmen. Praetorius hatte für diese außergewöhnliche Besetzung ganz detaillierte Klangvorstellungen, wie er im ausführlichen Vorwort mitteilt:
„Vier Knaben sollen an vier gesonderten Orten in der Kirche stehen, einander gegenüber oder wie es sonst möglich ist. Der erste Knabe, der bei der Orgel steht, beginnt ganz alleine. Danach setzt der zweite, der dritte und schließlich der vierte Knabe ein und singt seinen entsprechende Part fein rein, frisch, deutlich und wohl vernehmlich“. Um eventuelle klangliche Defizite der Knaben auszugleichen, schlägt er weiterhin vor: „Da es sich aber etwas leise und dünn anhören könnte, wenn die Knaben weit auseinander stehen und ganz alleine singen, so ist es sehr gut, wenn jedem Knaben ein Begleit-Instrument zugeordnet würde, ein Regal, ein Positiv, ein Cembalo, eine Theorbe oder Lauten.“
Zu hören sind diese lichten Oberstimmen fast in allen Versen dieses deutschen Magnificats, besonders deutlich im Vers 2 („Denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehn“) sowie im Vers 4 („Und seine Barmherzigkeit während immer“).
Meine Seel erhebt den Herren und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes.
Denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehn.
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskind;
Meine Seel erhebt den Herren und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes.
Denn er hat große Ding an mir getan, der da mächtig ist und des Namen heilig ist.
Meine Seel erhebt den Herren und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes.
Und seine Barmherzigkeit währet immer für und für, bei denen, die ihn fürchten.
Er übet Gewalt mit seinem Arm und zerstreuet, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
Meine Seel erhebt den Herren und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes.
Er stößet die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen.
Meine Seel erhebt den Herren und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes.
Die Hungrigen füllet er mit Gütern und lässt die Reichen leer.
Meine Seel erhebt den Herren und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes.
Er gedenket der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf.
Wie er geredt hat unsern Vätern, Abraham und seinem Samen ewiglich.
Ehr sei Gott dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geiste,
wie es war von Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Es war der Hit einer Hochzeit, der etwas später von vielen Komponisten in Europa als Motiv neuer Kompositionen verwendet wurde: Als „Ballo del Gran Duca“ ging die Melodie von Florenz aus als Ohrwurm um die Welt. Selbst Klostermauern hat die eingängige Melodie überwunden – eine Version stammt vom Benediktinermönch Adriano Banchieri.
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Mit Pomp hielten sich die Medici wahrlich nie zurück. Die Familiendynastie, die mehrere Jahrhunderte über Florenz herrschte, zeigte ihren Machtanspruch auch gern durch Mittel der Kunst. Als 1589 der neue Medici-Chef Ferdinando I. die Prinzessin Christine von Lothringen heiratete, ließ man sich nicht lumpen. Die Feiern dauerten gleich mehrere Tage und und boten viel Kunst und Musik. So wurde als offizielles Rahmenprogramm der Hochzeit ein bislang nie gekanntes Bühnenspektakel organisiert: die „Pellgrina-Intermedien“. In sechs Teilen konnte das erlesene Publikum eine Vielzahl allegorischer Anspielungen auf das neue Paar erleben, in einer Mischung aus Bühnenhandlung, Tanz und Gesang. Führende italienische Komponisten, die meisten davon in Diensten der Medici, trugen mit ihren Werken dazu bei, darunter auch Emilio de Cavalieri. Eine seiner Kompositionen, der „Ballo del Gran Duca“, war so eingängig, dass sie schnell die Runde machte und im Laufe des frühen 17. Jahrhunderts von vielen weiteren Komponisten bearbeitet wurde.
Einer davon war Adriano Banchieri, der den Großteil seines Lebens als Benediktiner in einem Kloster nahe Bologna verbracht hat. Dort beschäftigte sich der musikalisch ambitionierte Mönch aber keineswegs nur mit Kirchenmusik, sondern entwickelte auch eine große Vorliebe für das modische Madrigal. Seine mitreißende Instrumentalsonata „sopra l’aria musicale del Gran Duca“ findet sich allerdings wiederum in einem Druck mit Messen von 1620.
Die italienische „Antwort“ auf das deutsche Magnificat von Praetorius. Fast synchron zu seinem Kollegen in Wolfenbüttel, aber rund 2.000 km südlicher, komponiert Antonio Cifra ein prächtiges achtstimmiges Magnificat in lateinischer Sprache. Gewisse musikalische Gemeinsamkeiten gibt es dennoch.
Als Kapellmeister und Komponist war Antonio Cifra in den ersten drei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts überaus aktiv und veröffentlichte eine Fülle an Drucken, in denen der rasante Wandel des musikalischen Stils gut erkennbar ist. Seine musikalische Karriere begann Cifra als Knabensänger in der Capella Giulia am römischen Petersdom. Es folgten erste Anstellungen an kleineren römischen Kirchen. Hier sorgte er – neben seiner unbestrittenen musikalischen Qualität – für kleinere Skandale, hervorgerufen durch seinen wohl ziemlich freizügigen Umgang mit dem anderen Geschlecht („male pratiche di donne“). Auch eine kurzzeitige Inhaftierung Cifras ist belegt. Als Kapellmeister im Marienwallfahrtsort Loreto entging er dem römischen Klüngel und etablierte sich dort als überregional bekannter Komponist. Trotz einer zwischenzeitlichen Rückkehr als Kapellmeister an der Lateranbasilika in Rom blieb Loreto sein Lebensmittelpunkt.
Die groß besetzten späten Vesperwerke, die Antonio Cifra in den 1620er Jahren veröffentlich hat, können als hervorragende Vermittler zwischen der alten Vokalpolyphonie und der modernen, konzertierenden Satzweise bezeichnet werden. So wechseln auch im Magnificat aus den „Moctetta et Psalmi“ von 1629 kurze kontrapunktische Passagen mit solistischen und blockhaften, doppelchörigen Passagen ab.
Magnificat anima mea Dominum.
Et exultavit spiritus meus
in Deo salutari meo.
Quia respexit humilitatem ancillae suae,
ecce enim ex hoc beatam me dicent
omnes generationes.
Quia fecit mihi magna qui potens est
et sanctum nomen ejus.
Et misericordia ejus a progenie
in progenies timentibus eum.
Fecit potentiam in brachio suo,
dispersit superbos mente cordis sui.
Desposuit potentes de sede
et exaltavit humiles.
Esurientes implevit bonis,
et divites dimisit inanes.
Suscepit Israel puerum suum,
recordatus misericordiae suae,
sicut locutus est ad patres nostros
Abraham et semini ejus in saecula.
Gloria Patri et Filio,
et Spiritui Sancto.
Sicut erat in principio,
et nunc, et semper
et in saecula saeculorum.
Amen.
Meine Seele erhebet den Herrn.
Und mein Geist freuet sich
Gottes, meines Heilands.
Denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd
angesehen. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder.
Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und des Name heilig ist.
Und seine Barmherzigkeit währet immer für und für bei denen, die ihn fürchten.
Er übet Gewalt mit seinem Arm und zerstreuet, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
Er stößt die Gewaltigen vom Thron
und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllet er mit Gütern und lässt die Reichen leer.
Er denket der Barmherzigkeit
und hilft seinem Diener Israel auf,
wie er geredet hat unsern Vätern,
Abraham und seinen Kindern ewiglich.
Ehre sei dem Vater, dem Sohn
und dem Heiligen Geist.
Wie es war im Anfang,
jetzt und immerdar,
und von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen.
Von wegen abgehobener, verkopfter Theoretiker… Michael Praetorius konnte auch ganz eingängige Melodien komponieren, zum Beispiel einen Kanon, der mit den ersten Worten des 98. Psalms textiert wurde. – Zum Mitsingen geeignet!
Noten: https://ks4.imslp.net/files/imglnks/usimg/a/a4/IMSLP216990-WIMA.a6cd-praetorius_jubilate_deo.pdf
Vokaltext:
Jubilate Deo omnis terra. Amen
Jauchzet dem Herrn, alle Welt. Amen.
Agostino Agazzari war für Michael Praetorius wohl vor allem als Musiktheoretiker maßgebend. Große Teile seines 1607 veröffentlichten Traktats „Del sonare sopra il basso“ gab Praetorius in deutscher Übersetzung in seiner Schrift „Syntagma musicum“ wieder und interpretierte die Aussagen des italienischen Kollegen als Plädoyer für die grundlegende Bedeutung des Basso continuo in der Musik. Agazzari setzte seine theoretischen Vorstellungen selbst in zahlreichen Motetten und geistlichen Konzerten um.
Ab 1603 veröffentlichte der römische Kapellmeister Agostino Agazzari geistliche Motetten im modernen Stil. Damit war er – neben seinem Lehrer Viadana – einer der ersten Komponisten, der sich konsequent dieser neuen Art des Musizierens widmete. Neben seiner kompositorischen Tätigkeit liegt die Bedeutung Agazzaris in seinem theoretischen Werk „Del sonare sopra’l basso con tutti li stromenti e del uso loro nel conserto“ von 1607, der ersten systematischen Generalbasslehre überhaupt. Das nur zwölf Seiten umfassende Lehrwerk beginnt mit einer Aufzählung des reichen Continuo-Instrumentariums, bevor in knappen Worten die praktische Umsetzung der wichtigsten Ziffern und Zeichen erläutert wird. Gegen Ende der Schrift fasst Agazzari seine Einschätzung über den Umgang mit der Musik neuen Stils wie folgt zusammen: „Ich stelle fest, seit letzthin der Stil erfunden wurde, Worte in Musik richtig auszudrücken, was besser mit einer oder wenigen Stimmen glückt, wie die moderne Arien einiger tüchtiger Männer beschaffen sind und es zur Zeit in Rom üblich ist, dass es nicht notwendig ist, eine Partitur oder Tabulatur anzufertigen. Es reicht vielmehr, die Bassstimme mit Zeichen zu versehen, wie sie eben erläutert wurden.“
Agazzari, der von 1602 bis 1607 als Kapellmeister an verschiedenen jesuitischen Institutionen Roms tätig war, bestätigt mit dem Zitat den häufigen Gebrauch der neuen generalbassgestützten Musik in der Stadt. Seine Bemerkung, dass die Komponisten und Organisten – wie es Viadana noch gefordert hatte – den Generalbasssatz nicht mehr aussetzen müssen, spricht darüber hinaus dafür, dass sich die neue Spielweise unter den Musikern Roms bereits nach wenigen Jahren durchgesetzt hat. Die kleine geistliche Motette „Et repleti sunt omnes“ für zwei Tenöre und Basso continuo ist ein hervorragendes Beispiel für diesen neuen Stil in der Kirchenmusik.
Et replete sunt omnes, spiritu sancto.
Et coeperunt loqui magnalia Dei.
Alleluja.
Sie waren alle vom Heiligen Geist erfüllt
Und begannen über die Größe Gottes zu sprechen.
Halleluja.
Das „Lied von der brüderlichen Eintracht“ wird Psalm 133 auch genannt: „Siehe, wie fein und lieblich ist, dass Brüder einträchtig bei einander wohnen“. Michael Praetorius legt in seiner Sammlung „Polyhymnia“ eine unglaublich differenzierte Vertonung dieses schönen Textes vor, inklusive eines ohrwurmartigen Ritornells.
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Die Krönung der kirchenmusikalischen Publikationen von Michael Praetorius ist die Sammlung „Polyhymnia caduceatrix et panegyrica“ von 1619. Sie vereint 40 Choralkonzerte in der „neuen italienischen Concerten-Manier mit Besetzungen zwischen 10 und 20 Stimmen, wobei die klanglichen Differenzierungen von Streichern, Bläsern und Vokalstimmen sehr genau austariert wurden. Immer wieder wechselt Praetorius effektvoll zwischen solistischer und größerer Besetzung ab, fügt instrumentale Ritornelle ein und manifestiert den Basso continuo als durchgehendes Fundament. Ganz offensichtlich handelt es sich bei der „Polyhymnia“ um eine Sammelpublikation von Werken, die Praetorius in den vorangegangenen Jahren für festliche Anlässe an verschiedenen Höfen komponiert hat.
Die wissenschaftlich anmutende Akribie des Komponisten Praetorius zeigt sich hier besonders deutlich: Zu jeder der Kompositionen formuliert er eine ausführliche Anweisung, die seine Vorstellungen der Aufführungspraxis detailgenau mitteilt. Im Falle des geistlichen Konzerts „Siehe, wie fein und lieblich ist“ kann man dem Vorwort folgende Wünsche des Komponisten entnehmen: „In diesem Konzert ‚Siehe, wie fein und lieblich ist‘ müssen die beiden konzertierenden Chöre weit voneinander und deutlich einander gegenüber aufgestellt werden, damit ein Chor dem andern und eine Stimme der andern deutlich echoartig antworten kann. Besonders im dritten Teil soll der erste Chor kräftig klingen und der zweite Chor etwas leiser respondieren.“
Neben diesen unmissverständlichen Forderungen lässt Praetorius seinen potentiellen Interpreten aber auch gewisse Freiheiten und zeigt damit – bei aller Theorie – sein Verständnis für die Pragmatik des musikalischen Alltags. „Die Instrumente kann man entweder unterhalb seitlich, oder neben den 2. Vokalchor positionieren. Sollten jedoch die Instrumente die Stimmen übertönen (wobei auch Theorben und Lauten nicht übel klingen würden), so müssen die Instrumente an den Stellen, an denen lediglich zwei, drei oder vier Stimmen miteinander konzertieren, pausieren. Wenn dann alle Stimmen zusammen einfallen, spielen sie wieder mit.“
Siehe, wie fein und lieblich ist, dass Brüder einträchtig bei einander wohnen.
Lobet den Herren, alle Heiden, und preiset ihn, alle Völker, denn seine Gnad und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit. Halleluja.
Wie der köstliche Balsam ist, der vom Haupt Aaron herabfleußt in seinen ganzen Bart, der herabfleußt in sein Kleid.
Lobet den Herren, alle Heiden, und preiset ihn, alle Völker.
Wie der Tau, der vom Hermon herab fällt auff die Berge Zion. Denn daselbst verheißt der Herr Segen und Leben immer und ewiglich.
Lobet den Herren, alle Heiden, und preiset ihn, alle Völker, denn seine Gnad und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit. Halleluja.
Die norditalienische Stadt Bergamo steht Pate für ein Tanz- und Satzmodell, das besonders im 17. Jahrhundert weit verbreitet war, die Bergamasca. Lodovico Viadana, vor allem als Komponist moderner Kirchenwerke bekannt, hat eine achtstimmige Version dieses schmissigen Themas verfasst.
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Noten: https://ks.imslp.net/files/imglnks/usimg/2/23/IMSLP204204-WIMA.9282-la_bergamasca.pdf
Parallel zu Monteverdi entwickelte der vor allem in Rom und Padua tätige Komponist Lodovico Viadana eine neue Form der geistlichen Musik: In drei umfangreichen Bänden veröffentlichte er unter dem Titel „Concerti ecclesiastici“ hunderte Vokalkonzerte, die jeweils nur mit ein bis vier Stimmen und Continuobegleitung besetzt waren und damit einen starken Kontrast zur bisher üblichen Vokalpolyphonie der Renaissance darstellten. Viadanas Kirchenkonzerte wurden aufgrund ihrer melodischen Eingängigkeit schnell populär und wurden durch Wiederauflagen und handschriftliche Kopien weit verbreitet.
Lodovico Viadana darf als erster angesehen werden, der sich grundlegend und ausführlich der Komposition und Publikation der modernen Gattung eines klein besetzten vokalen Concertos widmete. In der Vorrede seiner „Cento concerti ecclesiastici“ äußerte er sich über die Motive seiner Arbeit. Demnach bewogen ihn die Missstände in der Kirchenmusik, vor allem die Praxis, vielstimmige Motetten unvollständig besetzt mit Orgelbegleitung aufzuführen, sowie der Mangel an Alternativen, sprich kleinbesetzten Werken, eine neuartige Gattung zu erfinden. Zudem war für Viadana die Textverständlichkeit ein großes Anliegen, als er schrieb: „Ich habe mich bemüht, die Worte so unter die Noten zu setzen, dass sie gut deklamiert werden und darüber hinaus vollständig und mit zusammenhängendem Sinn von den Zuhörern deutlich verstanden werden können, wenn sie nur von den Sängern verständlich ausgesprochen werden.“ Diese Gattung wurden in den Jahren danach tausendfach von den verschiedensten Komponisten nachgeahmt. Auch Michael Praetorius kannte Viadanas Werke und äußerte sich begeistert über diese neuartige Form der Kirchenmusik.
Parallel zu seinen geistlichen Werken hat Viadana auch einen Band mit Instrumentalmusik veröffentlicht, die „Sinfonie musicale“ von 1610.
Schon auf dem Titelblatt seiner Sammlung „Polyhymnia“ legt Praetorius die Prämissen dieser geistlichen Konzerte fest: Sie seien „solennische Friedens- und Freuden-Konzerte“ und sind besetzt mit „allerhand musikalischen Instrumenten und Menschenstimmen, auch Trompeten und Heerpauken, mit bis zu 21 Stimmen in 2 bis 6 Chören.“ Der Hymnus „Christe, der du bist Tag und Licht“ zeigt exemplarisch diese „solennische“ Weise.
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Die Vertonung „Christe, der du bist Tag und Licht“ folgt dem altkirchlichen Abendhymnus „Christe qui lux es et dies“. Praetorius hat sich mit dieser Melodie bereits zuvor mehrfach beschäftigt und entsprechende geringstimmige Vertonungen in der Sammlung „Musae Sioniae“ veröffentlicht. Nun, in der „Polyhymnia“ steigert er die vokal-instrumentale Besetzung auf 16 Stimmen und setzt dem Werk mit der dreimal zu wiederholenden Doxologie einen wirkungsvollen Rahmen.
Gleichzeitig nutzt Michael Praetorius den Druck der „Polyhymnia“ aber auch für einige grundsätzliche Bemerkungen zur Kirchenmusik, die als persönliches Vermächtnis gelten dürfen. Er schreibt: „Zur Vollkommenheit und zum Bestand eines vollkommenen Gottesdienstes ist nicht allein eine gute Predigt gehörig, sondern auch eine gute Musik und Gesang erförderlich.“ Diese These begründet Praetorius ausführlich mit Zitaten aus dem Alten Testament, aus den Briefen des Apostels Paulus sowie aus Schriften der Kirchenväter, um dann mit der Feststellung abzuschließen: „Wer nicht Lust zur Musica, oder kein Musicus sein will, was wolle derselbe im Himmel machen? Denn im Himmel müssen wir alle, der Herr sowohl als der Knecht, musizieren. Und damit wir zu der Himmlischen Cantorey genugsam instruiert und tüchtig gemacht werden: Lasst uns die Kunst lernen auf Erden, die wir im Himmel gebrauchen werden.“
Christe, der du bist Tag und Licht, vor dir ist, Herr, verborgen nichts,
du väterliches Lichtes Glanz, lehr uns den Weg der Wahrheit ganz.
Wir bitten dein göttliche Kraft, behüt uns, Herr, in dieser Nacht,
bewahr uns, Herr, vor allem Leid, Gott Vater der Barmherzigkeit
Gott Vater sei Lob und Ehr und Preis, darzu auch seinem Sohne weis,
des heilgen Geistes Gütigkeit, von nun an bis in Ewigkeit.
Vertreib den schweren Schlaf, Herr Christ, dass uns nicht schad des Feines List,
das Fleisch in Züchten reine sei, so sind wir mancher Sorgen frei.
Sinfonia
So unser Augen schlafen schier, lass unser Herzen wachen dir,
beschirm uns Gottes rechte Hand und lös uns von der Sünden Band.
Gott Vater sei Lob und Ehr und Preis, darzu auch seinem Sohne weis,
des heilgen Geistes Gütigkeit, von nun an bis in Ewigkeit.
Beschirmer, Herr der Christenheit, dein Hilf allzeit sei uns bereit.
Hilf uns, Herrr Gott, aus aller Not, durch dein heiligen fünf Wunden rot.
Gedenk, o Herr, der schweren Zeit, darin der Leib gefangen leit,
meine Seele, die du hast erlöst, der gib, Herr Jesu, deinen Trost.
Gott Vater sei Lob und Ehr und Preis, darzu auch seinem Sohne weis,
des heilgen Geistes Gütigkeit, von nun an bis in Ewigkeit.
Allein Gott in der Höh sei Ehr
und dank für seine Gnade,
darum, dass nun und nimmermehr
uns rühren kann kein Schade.
Ein Wohlgefallen Gott an uns hat,
des ist groß Fried ohn Unterlass,
all Fehd hat nun ein Ende.
2. Wir loben, preisn, anbeten dich,
für deine Ehr wir Danken,
Dass du, Gott Vater, ewiglich
regierst ohn alles Wanken.
Ganz ungemessen ist deine Macht,
fort gschicht, was dein Will hat bedacht,
wohl uns des feinen Herren.
3. O Jesu Christ, Sohn eingeborn,
deines himmlischen Vaters,
Versöhner dern, die warn verlorn,
du Stiller unsers Haders.
Lamm Gottes, heiliger Herr und Gott;
nimm an die Bitt für unser Not,
erbarm dich unser aller.
4. O heilger Geist, du größtes Gut,
du all’rheilsamster Tröster,
fürs Teufels G’walt fortan behüt,
die Jesus Christus erlöset
durch große Marter und bittern Tod,
ab wend all unser Jamm’r und Not,
dazu wir uns verlassen.
Am 18.06.2021 ab 13:30h fand das dazugehörige Community-Event statt: